11. September 2019 – Katharina Bente (deaktiviert)
Der Weg zum eigenen Haus
Warum ist Bauen eigentlich so anstrengend und stressig?
Jahr für Jahr werden in Niedersachsen tausende Baugenehmigungen für Häuser erteilt und bis 2035 sollen, um der Wohnungsnot beizukommen, noch viel mehr entstehen.
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Gerade in der "neubaurelevanten" Generation dürfte es unter den Lesern nur wenige geben, die niemanden kennen, der gerade baut oder es kürzlich getan hat. Doch was antworten beinahe alle, wenn man sie auf die Bauphase anspricht? Wahrscheinlich recht einsilbig "Stress hoch zehn". Aber warum ist der Bau denn so unglaublich anstrengend? Letzten Endes machen doch Profis alles?!
Es ist einfach teuer
Gleich dieser erste Punkt betrifft praktisch jeden Bauherrn. Denn kaum jemand hat das nötige Kleingeld im Sparstrumpf. Für die meisten ist es die mit Abstand höchste Verschuldung, die sie sich in ihrem Leben aufbürden. Unterm Strich kostet heute ein Durchschnittshaus in einer Durchschnittsumgebung 325.000 Euro – nicht zuletzt deshalb, weil die Niedrigzinsphase die Hauspreise stark steigen ließ. Und die Gewissheit, dass man von nun an für längere Zeit in der Kreide stehen wird, ist für viele eine große psychische Last.
Das Fundament legen
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Wer ein Auto kaufen möchte, geht ins Autohaus, hakt im Katalog ein paar Extras ab und bekommt nach einigen Wochen ein fertiges Auto vor die Tür gestellt – selbst den Zulassungs-Behördengang hat der Händler erledigt. Welch ungleich schwierigerer Ablauf ist da der Hausbau. Das lässt sich sehr sinnbildlich an dem etwas längeren Prozess aufzeigen, welcher zum Grundstückskauf notwendig ist. Denn es ist eben nicht nur "suchen, finden, Vertrag unterschreiben", sondern es gehört schon weit mehr dazu und vor allem ein langer Atem.
Bis man ein passendes Grundstück für die eigenen vier Wände gefunden hat, können oftmals schon ein paar Monate vergehen und dann besteht noch die Gefahr das man ausgestochen wird und die Suche geht von vorne los. Wenn sich dann etwas Passendes ergeben hat müssen bis zum finalen Kauf noch ein paar Schritte unternommen werden, dazu gehört es einen Anwalt aufzusuchen, sich zum Grundbuchamt zu begeben und zum guten Schluss dem Notar noch einen Besuch abzustatten.
Ein Prozess, der viele, viele Wochen in Anspruch nimmt. Wochen, in denen man immer hofft und bangt. Nicht anders sieht es auch während der heißen Hausbau-Phase aus: Immer wieder sind amtliche Kontrollen notwendig, besteht die Angst, dass es zu irgendwelchen Problemen kommt, die Kosten aus dem Ruder laufen. Eine wirklich große Masse an Ängsten, die einen zermürben können.
Alles muss von nun an funktionieren
Über 300.000 Euro Schulden. Auf Jahre hinweg. Das ist nicht nur für sich selbst eine große Belastung, sondern zieht auch weitere Kreise. Denn von nun an herrscht für alle Beteiligten ein unheimlicher Leistungsdruck: Im Job darf nichts mehr schief gehen. Man muss noch pedantischer werden, muss sich Ungerechtigkeiten eher gefallen lassen, muss bei Überstunden als erstes den Arm heben. Alles, um sich nicht dem Risiko Arbeitslosigkeit auszusetzen, was das ganze Konstrukt Eigenheim zum Wackeln brächte. Denn schon das normale Arbeitslosengeld I beträgt nur 60% vom Nettogehalt. Selbst Familien haben bestenfalls Anspruch auf 67%. Eine auf Kante genähte Abtragung kann dadurch schon abbrechen – dauert die Arbeitslosigkeit über ein Jahr, kann man sich vom Haus verabschieden. Und natürlich hängt auch die Gesundheit dran. Ein unglücklicher Sturz oder eine andere Krankheit und die Schulden können einen ebenfalls erdrücken.
Der Partnerk(r)ampf
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Die wenigsten Häuser werden von Singles gebaut, sondern Lebenspartnern/Eheleuten. Schon die Tatsache, dass ein Projekt mit Myriaden Details, die beiden gefallen müssen, ansteht, bietet genug Zündstoff, um Paartherapeuten zu beschäftigen. Beispiele gefällig?
- Architekten-, Bauträger-, oder Fertighaus?
- Mit oder ohne Keller?
- Nüchtern-graue Badezimmerfliesen oder tropisches Grün?
- Wohnzimmerboden als Parkett oder lieber mit Teppichboden?
- Glattputz, Rauputz oder Tapete?
An solchen Detailfragen zerbrachen schon unzählige Beziehungen. Und selbst wenn man einen Kompromiss erkämpft hat, bleiben zwischen Fundamentplatte und Giebeldeckung unzählige weitere offen. Das macht selbst harmonischen Beziehungen zu schaffen, weil Geschmäcker immer divergieren.
Doch es ist noch etwas anderes: Der ganze Stress und Ärger lässt nicht viel Raum für Zweisamkeit. Nach Feierabend Einrichtungshäuser durchsuchen, an den Wochenenden auf die Baustelle. Urlaub? Wer hat denn dafür Geld? Realistisch betrachtet liegen Partnerschaften während des Baus ziemlich auf Eis.
Pfuschpanik
Egal für welche Hausbauform man sich nach hartem Partner-Ringen entscheidet, bei allen sind nicht nur unterschiedliche Firmen zwischen Tiefbauer und Dachdecker beteiligt, sondern oft genug Subunternehmer und hunderte Einzelhandwerker. Nun gibt es zwar viele tausend Normen, an die sich die Fachleute halten müssen und dazu die ganzen Kontrollen. Dennoch besteht einfach durch die vielen Beteiligten das Risiko, dass irgendeiner davon Fehler macht - menschlich. Vielleicht verlegt der Fliesenleger die diagonal geplanten Badezimmerfliesen längs. Vielleicht setzt der Elektroinstallateur die bettseitigen Steckdosen an die falsche Raumseite.
Es gibt abertausend Dinge, die schief gehen können. Schon für sich allein sind sie ärgerlich. Aber sie können das ganze Projekt auch verzögern, weil so viele Arbeiten aufeinander aufbauen. Der Verputzer kann nicht arbeiten, wenn die Leitungen nicht verlegt sind, der Fensterbauer muss auf die Maurer warten. Und durch breite Berichterstattung hat man zudem immer Panik vor „echtem“ Baupfusch – kaum einer hat noch keinen Bericht von unbewohnbaren Pfuscher-Ruinen gesehen. Und diese Angst begleitet einen bis weit nach dem Einzug.
Theorie/Praxis-Schere
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Wir müssen ein letztes Mal den Neuwagenvergleich bemühen, er passt einfach zu gut. Denn das Auto kann man in aller Ruhe probieren. Man kann es für Stunden Probe fahren oder sich auch einfach das gleiche Modell im Autohaus mieten und es gleich mehrere Tage testen. Man weiß also sehr genau, auf was man sich bei Vertragsabschluss einlässt.
Dagegen abermals das Haus. Natürlich versuchen alle, einem die Sache vor dem Kauf so bildlich wie möglich zu machen. Der Architekt liefert einem nicht nur technisch-trockene Pläne, sondern eben Zeichnungen, gerenderte Grafiken, auch Modelle. Sehr viele Firmen verweisen nicht nur auf Hochglanzprospekte mit unzähligen Bildern, sondern nutzen die Digitalisierung auch, um damit virtuelle Rundgänge zu erlauben – per VR-Brille. Und natürlich gibt es ja auch immer noch diverse Musterhausparks, in denen man sich „echte“ Häuser anschauen kann.
Aber es bleibt die Tatsache, dass echtes Probewohnen so einfach nicht möglich ist. Und das wiederum führt dazu, dass viele Bauherrn Angst vor einer Schere zwischen Theorie und Praxis haben.
- Wie wird die Hochglanzküche wirken, wenn man mal jeden Tag darin kocht?
- Ist das helle Parkett nicht fürchterlich schmutzempfindlich?
- Wie verträgt sich die offene Bauweise mit dem nötigen Heizen?
- Wird die Raumaufteilung so wirklich allen Bewohnern gerecht?
Es gibt tausende solcher Fragen. Und leider muss man die meisten im „Blindflug“ beantworten, weil sich ein Haus nun mal nicht ausprobieren lässt. Auch das sorgt nicht nur während der Bauphase für viele Sorgen, sondern abermals lange darüber hinaus. Denn bis man nicht zwei, drei Jahre darin gelebt hat, kann man kaum abschätzen, ob wirklich alles, was im Katalog gut aussah, sich auch in der Praxis bewährt.
Fazit
Dass sich so viele Häuslebauer beklagen, ist nicht etwa Ausdruck mangelnder Härte, sondern hat wirklich sehr gute (und immens viele) Gründe. Selbst wenn man am Bau keinen einzigen Cent in die Muskelhypothek investiert und alles machen lässt, ist das Projekt Eigenheim für viele das stressigste ihres Lebens. Was nicht bedeutet von einem Hausbau Abstand zu nehmen, im Gegenteil, man braucht während dieser Phase viele Nerven aber andererseits kann man auch daran wachsen. Wer diese Zeit übersteht, den kann danach nichts mehr so schnell aus der Ruhe bringen.