Aufarbeitung
Fünf Jahre Corona: Was lief gut, was nicht?
Zwischen Aufarbeitung und Gedenken: Im Februar 2020 kam das Coronavirus nach Niedersachsen. Wie blicken Politiker und Experten heute auf die Pandemie zurück?

Was lief gut in der Pandemie?
Richtige Prioritäten: «Die Priorität war, Menschenleben zu schützen. Das war richtig und ist auch gelungen», sagt der evangelische Landesbischof von Hannover, Ralf Meister - auch wenn es Maßnahmen gegeben habe, die nach heutigem Kenntnisstand überzogen waren. «Was verantwortliches Handeln bedeutet, musste schnell und an vielen Stellen schmerzhaft ausgehandelt werden.» Leben gerettet: Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) resümiert, insbesondere zu Beginn sei es «insgesamt gut gelungen», mit wissenschaftlich begründeten Schutzmaßnahmen auf das Virus zu reagieren. Weitere Infektionen zu vermeiden, sei zwingend notwendig gewesen. «Dadurch sind sehr viele Menschenleben gerettet worden.» Frühe Impfungen: Der größte Erfolg sei es gewesen, dass schnell ein Impfstoff entwickelt und eingesetzt wurde, sagt der Präsident des Landesgesundheitsamtes, Fabian Feil. Der CDU-Landtagsabgeordnete Eike Holsten spricht mit Blick auf die Impfstoffe von einem Meilenstein und sagt: «Die Pandemie hat die Leistungsfähigkeit und Innovationskraft der Wissenschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt.» Frühe Tests: Die Epidemiologin Berit Lange vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung betont die Bedeutung früher Teststrategien. Diese waren ihr zufolge in Verbindung mit Quarantäne und Isolation «hoch relevant und wären das auch in zukünftigen Pandemien, um systemrelevante Bereiche wie Schulen möglichst nicht schließen zu müssen». Veränderte Arbeitswelt: «Bewährt haben sich vor allem die Regelungen zu Kurzarbeit und zum mobilen Arbeiten», sagt der Bezirksvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Mehrdad Payandeh. Das Kurzarbeitergeld habe für viele Beschäftigte eine bitter nötige Brücke dargestellt, die zudem sichergestellt habe, dass Unternehmen nach der Krise mit voller Stärke zurückkehren konnten. Digitale Schule: «Durch die Pandemie haben die Schulen in den letzten Jahren einen deutlichen Schub im Bereich der Digitalisierung gemacht, auch der Umgang mit digitalen Lernmöglichkeiten wurde entwickelt», sagt Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne), nachdem die Pandemie lange zum digitalen Distanzunterricht geführt hatte.
Was muss in einer nächsten Pandemie anders laufen?
Weniger Einsamkeit: Regierungschef Weil räumt ein, dass rückblickend betrachtet «einzelne Maßnahmen, wie etwa Schulschließungen, zu lange aufrechterhalten worden» seien. Unter den Kontaktbeschränkungen hätten gerade auch alte und kranke Menschen besonders gelitten. «Besuchsverbote in Alten- und Pflegeheimen und Krankenhäusern haben wahrscheinlich Infektionen verhindert, gleichzeitig aber vielerorts zu großer Einsamkeit und Verlassenheitsgefühlen geführt», sagt der SPD-Politiker. «Auf Basis dieser Erfahrungen würde in einer vergleichbaren Situation manche Abwägung wohl anders ausfallen.» Rücksicht auf Jugendliche: Mit Schulschließungen und Distanzunterricht hat die Pandemie laut Kultusministerin Hamburg Kindern und Jugendlichen besonders stark zugesetzt. Dennoch habe es zu Anfang der Pandemie mit dem damaligen Wissensstand und noch ohne Impfstoff keine Alternativen zu den Schließungen gegeben. CDU-Politiker Holsten sieht das kritischer. Er sagt: «Wir brauchen eine bessere Balance zwischen Gesundheitsschutz und gesellschaftlicher Verantwortung. Das bedeutet: keine pauschalen Lockdowns mehr für Schulen und Kitas.» Ethik und Moral: Landesbischof Meister sagt, er würde sich künftig für bessere Kontaktmöglichkeiten für Familie und Seelsorge einsetzen: «Rechtliche Vorgaben brauchen im Blick auf die Würde des Einzelnen eine Ergänzung durch ethisch-moralische Kriterien.» Geld für Gesundheit: «Das Ziel, einen starken öffentlichen Gesundheitsdienst zu haben, scheint aktuell in Vergessenheit zu geraten», warnt das Landesgesundheitsamt. Im nächsten Jahr laufe eine Förderung des Bundes für mehr Personal im Gesundheitsdienst aus. Diese ist laut Präsident Feil aber «absolut notwendig», damit die Ämter in Krisenfällen flexibel und schnell handeln können. Der DGB bedauert, dass die Beschäftigten in der Pflege und im Gesundheitssektor nicht nachhaltig gewürdigt worden seien. «Applaus allein reicht nicht aus», sagt Bezirkschef Payandeh. Er fordert sowohl höhere Löhne als auch bessere Arbeitszeiten. Forschung: Auch bei neuen Strukturen zur Forschung zu Infektionen sei unklar, ob sie weitergeführt werden, kritisiert die Epidemiologin Lange. «Aktuell lässt sich bereits ein Zurückgehen beobachten, was diese Mechanismen angeht, was uns in der nächsten Pandemie stark schaden wird», sagt die Expertin.