17. September 2020 –
Was ist natürlicher als ein Händedruck, eine Umarmung, ein Kuss? Unter Corona ist alles anders. Wehmütig versucht eine Ausstellung in Bremen die «Annäherung an ein wesentliches Bedürfnis».
Berührungen sind in Corona-Zeiten verpönt, gelten als gefährlich, aber sie fehlen den Menschen: Deshalb widmet das Paula-Modersohn-Becker-Museum in Bremen ihnen eine Ausstellung mit viel Stoff zum Schauen und Nachdenken. Die Ausstellung «Berührend – Annäherung an ein wesentliches Bedürfnis» mit etwa 60 Kunstwerken öffnet am Samstag (19. September) und wird bis zum 24. Januar 2021 gezeigt. «Gerade im Verzicht wird uns mit einem Mal die besondere, geradezu lebensnotwendige Bedeutung von Berührungen bewusst», sagte der Direktor des Museums und Kurator der Ausstellung, Frank Schmidt.
Seit Mitte März gelten in Deutschland Kontaktbeschränkungen wegen des Coronavirus, Menschen müssen voneinander Abstand halten. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verkündete die paradoxe neue Lebenswirklichkeit: «Im Moment ist nur Abstand Ausdruck von Fürsorge.»
Verschiedene Arten von Berührungen werden dargestellt
Denn eigentlich steht doch Körperkontakt für Nähe, Fürsorge und Liebe - das zeigen in der Schau mehrere Gemälde von Paula Modersohn-Becker (1876-1907), darunter das Aktbild «Liegende Mutter mit Kind II» von 1906. Man soll sich wegen Corona möglichst nicht ins Gesicht fassen, heißt es. Aber was ist, wenn man den Kopf so versonnen in die Hand stützt, wie das kleine Mädchen in einem anderen Bild der Künstlerin?
Ein ganzer Saal ist dem Kuss gewidmet, der «vielleicht schönsten Form von Berührung», wie Co-Kuratorin Linda Günther sagte. Ein Hingucker sind auch die Holzskulpturen tanzender Paare von Stephan Balkenhol.
Aber es geht auch um unangenehme Berührungen, um Übergriffigkeit und Gewalt. Von einem anonymen alten Meister stammt das biblische Motiv der «Susanna im Bade», die von zwei alten Männern belästigt wird. Ein Video zeigt die Performance «Light/Dark» von Marina Abramović und ihres Partners Ulay aus dem Jahr 1977: «Abwechselnd ohrfeigen wir uns, bis einer von uns aufgibt.»
Menschen brauchen Berührungen
Ein Verdienst der Ausstellung ist, dass sie ihrem Thema eine weite wissenschaftliche und gesellschaftliche Perspektive gibt. Der Neurologe Matthias von Mering erläutert in einem Essay, was sich bei einer Berührung im Nervensystem abspielt. «Berührungen sind lebenswichtig», schreibt er. In Videos kommen Menschen zu Wort, deren Beruf das Berühren ist: ein Pfarrer, der mit Handauflegen segnet, ein Tätowierer, ein Masseur und eine Domina.
Wie vieles derzeit im Kulturbetrieb ist auch die Bremer Ausstellung improvisiert und kurzfristig zusammengestellt worden. «Ohne Corona wären wir nicht auf die Idee gekommen», sagte Direktor Schmidt bei einer Vorbesichtigung. Weil Kurierdienste ausfallen, durfte die Fotografie «Embrace» von Robert Mapplethorpe von 1982 nicht aus den USA nach Deutschland reisen. Ausnahmsweise wurde das Motiv digital übermittelt und durfte in Bremen nachgedruckt werden.
(dpa)