02. Mai 2025 –
1.500 Events an 60 Orten: Der Kirchentag lockt mit großen Gottesdiensten, Musik und einem bewusst politischen Programm bis zu 150.000 Besucher nach Hannover.
Mit Zehntausenden Besuchern und politischen Debatten ist in Hannover der evangelische Kirchentag gestartet. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte den Kirchentag zur Eröffnung als einen Ort, an dem alles zur Sprache kommen könne. «Er ist der Ort, an dem wir die Fragen stellen, die uns gerade auf den Nägeln brennen», sagte Steinmeier am Mittwoch.
Das gelte für Persönliches wie Gesellschaftliches. Der Kirchentag sei zudem eine «ganz, ganz seltene Chance, dass wir uns aus unseren ideellen Fertighäusern herausbegeben», sagte Steinmeier. Seine Rede folgte auf zwei parallele Open-Air-Gottesdienste, an denen nach Angaben der Organisatoren insgesamt rund 33.000 Menschen teilnahmen.
Anschließend kamen rund 150.000 Menschen in der Innenstadt zu einem «Abend der Begegnung» zusammen. Bei bestem Frühsommerwetter flanierten die Gäste zwischen den Kirchentags-Ständen.
Siegesmund: «Christlicher Glaube ist politisch»
Kirchentagspräsidentin Anja Siegesmund hatte vor der Eröffnung angesichts der von der CDU-Politikerin Julia Klöckner ausgelösten Debatte über die politische Rolle der Kirche angekündigt: Haltung zu zeigen, sei eines der wichtigsten Themen des bis Sonntag geplanten Kirchenfests. «Ja, es braucht eine Kirche, die sich auch politisch äußert und Haltung zeigt», sagte sie.
«Christlicher Glaube ist politisch. Das, was uns Christinnen und Christen antreibt, das legen wir ja als Menschen im Miteinander nicht einfach wieder ab», sagte Siegesmund.
Auch die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: «Es ist wichtig, dass die Kirchen in Deutschland ihre Stimme für Menschlichkeit, Solidarität und Zusammenhalt auch in politischen Debatten weiter erheben.»
Welche Politiker auf der Gästeliste stehen – und welche nicht
Klöckner, inzwischen Bundestagspräsidentin, hatte dagegen Mitte April gewarnt, die Kirche riskiere, beliebig zu werden, wenn sie ständig zu tagesaktuellen Themen Stellungnahmen abgebe und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick habe. «Dann wird sie leider auch austauschbar», sagte sie der «Bild am Sonntag».
Am Samstag wird Klöckner am Kirchentag teilnehmen und mit Siegesmund sowie mit Anna-Nicole Heinrich, Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), über die Rolle der Kirche diskutieren.
Merkel verteidigt ihr «Wir schaffen das»
Am zweiten Tag, dem 1. Mai, meldete sich Altkanzlerin Angela Merkel zu Wort – und verteidigte kurz vor dem Wechsel der Bundesregierung ihren Satz «Wir schaffen das» zur Aufnahme von Flüchtlingen. Der Satz sei ihr oft um die Ohren gehauen worden. Aber: «Ich habe damals nicht gesagt, ich schaffe das», betonte Merkel. «Das war mein Vertrauen darin, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die in einer solchen Notsituation helfen. Und die gab es, und darauf können wir stolz sein. Lassen wir uns das nicht nehmen.»
Der CDU-Chef und designierte Kanzler Friedrich Merz hat dagegen angekündigt, mit der neuen Bundesregierung deutliche Verschärfungen zur Begrenzung der Migration nach Deutschland umzusetzen.
Zu den weiteren politischen Gästen des Kirchentags zählen am Freitag der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einem seiner wohl letzten Termine im Amt sowie der frühere Bundespräsident Christian Wulff. Vertreter von AfD und BSW wurden nicht eingeladen.
Polizei hat Sicherheitsvorkehrungen verschärft
Insgesamt umfasst der Kirchentag rund 1.500 Events an mehr als 60 Orten. Es wurden laut Veranstalter rund 65.000 Tickets verkauft – das seien mehr als zum Start des Kirchentags 2023 in Nürnberg. Insgesamt erwarte man bis zu 100.000 Teilnehmer am Hauptprogramm.
Die Polizei stellte sich sogar auf rund 150.000 Besucher täglich ein, denn die Veranstaltungen in der Innenstadt – darunter große Konzerte von Gentleman und Jupiter Jones – können auch ohne Ticket besucht werden. Zusätzliche Überwachungskameras, Drohnenverbote, Straßensperrungen und Poller sollen die Sicherheit gewährleisten.
Käßmann und Mitstreiter senden «Friedensruf»
Kontroverse Diskussionen gibt es auf dem Kirchentag unter anderem über deutsche Waffenlieferungen, den Nahostkonflikt und die Klimakrise. Eine ökumenische Friedenssynode um die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann machte sich mit einem «Friedensruf» gegen Militarisierung stark.
«Die aktuellen Kriege sind für uns eine Mahnung zur Umkehr», heißt es darin. «Es wird gesagt, wir müssten kriegstüchtig werden und Frieden durch Aufrüstung sichern. Wir aber wollen friedensfähig werden.» Der «Friedensruf» solle als Impuls in die Gemeinden gehen, «damit nicht mehr geschwiegen wird in unserer Kirche», sagte Käßmann.
EKD: Einheitliche Entschädigungen für Missbrauchsopfer
Auch sexualisierte Gewalt wird auf dem Kirchentag ausdrücklich thematisiert. So porträtiert und fotografiert die Künstlerin Julia Krahn betroffene Frauen.
Bereits im März hatte der Rat der EKD beschlossen, die Entschädigungen für Opfer von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche bundesweit zu vereinheitlichen. Die neue Richtlinie sieht unter anderem vor, dass Missbrauchsopfer in EKD oder Diakonie pauschal 15.000 Euro erhalten, wenn eine strafbare Tat vorliegt – auch, wenn diese bereits strafrechtlich verjährt ist.
Kirchentag verteidigt Zuschüsse in Millionenhöhe
Die evangelische Kirche zählt derzeit knapp 18 Millionen Mitglieder in Deutschland. Die Mitgliederzahl ist allerdings seit Jahren rückläufig.
Wegen dieser sinkenden Bedeutung gibt es Kritik an den öffentlichen Zuschüssen in Millionenhöhe für das Event. Kirchentagspräsidentin Siegesmund entgegnete darauf, dass die Region auch wirtschaftlich vom Kirchentag profitiere und dieser Menschen ins Gespräch bringe, bei denen das sonst nicht der Fall wäre.
Das Budget des Kirchentags liegt bei rund 24 Millionen Euro. Darin enthalten sind Zuschüsse des Landes Niedersachsen von sieben Millionen Euro und der Stadt Hannover von vier Millionen Euro. Der Bund steuert 800.000 Euro bei.
(dpa)