03. Juni 2024 –

Kreuze ohne Haken

Initiative gegen Rechtsextreme auf dem Land - immer mehr Kreuze

Rechtsextreme nutzen ländliche Gebiete in Niedersachsen gern als Rückzugsort, sie leben unauffällig. Seit fünf Jahren kämpft die Gruppe «beherzt» dagegen - und wird nun ausgezeichnet.

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15.05.2024: Isa von Bismarck-Osten (v.l.), Martin Raabe, Rita Karkhof und Elke Scherwinsky von der «Gruppe beherzt für Demokratie und Vielfalt». Seit fünf Jahren kämpft die Gruppe «beherzt» gegen Rechtsextreme auf dem Land und wird nun ausgezeichnet. , Foto: picture alliance/dpa

Nächtliche anonyme Anrufe mit wüsten Beschimpfungen und Hassmails bekommt der ehemalige Pastor Martin Raabe immer noch. «Da wird dann gesagt, wir kommen gleich vorbei», erzählt der 75 Jahre alte Vorkämpfer gegen rechtsextreme Tendenzen in ländlichen Gebieten in Niedersachsen. Seit fünf Jahren hält er Vorträge - derzeit bis zu vier die Woche - in Schulen, Gemeindehäusern und Kirchen. Dort warnt er vor dem Zuzug völkischer Siedler - damit nicht immer mehr Höfe im Nordosten von den erzkonservativen Familien aufgekauft werden.

Am Samstag wird die «Gruppe beherzt für Demokratie und Vielfalt», die Raabe in Ebstorf im Landkreis Uelzen mitgegründet hat und die im Kern 40 Mitglieder zählt, für ihr Engagement von der Martin-Niemöller-Stiftung mit dem Julius-Rumpf-Preis gewürdigt. Innenministerin Daniela Behrens will die Auszeichnung, die mit 10 000 Euro dotiert ist, in der Klosterkirche der Gemeinde überreichen. Der Preis stehe für die Werte Toleranz, Mitmenschlichkeit und Versöhnung - das zeichne auch das Wirken der Gruppe aus, betont Behrens.

«Demokratie muss erkämpft und erarbeitet werden»

Seit 2018 engagiere sich die Gruppe gegen rechtsextremistische Erscheinungsformen in ihrer Region. «Sie stehen auf und zeigen "Flagge" gegen das rechtsextreme Gift. Gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenhass. Für dieses Engagement bin ich mehr als dankbar», sagt die SPD-Politikerin. Denn Demokratie sei kein Naturgesetz und falle auch nicht vom Himmel: «Demokratie muss erkämpft und erarbeitet werden.»

Die Auszeichnung bewog die Gruppe dazu, einen offiziellen Verein zu gründen. Denn die Ehrenamtlichen stellen zwar unermüdlich die markanten gelb-pinken «Kreuze ohne Haken» auf, konnten bisher aber weder Zuschüsse beantragen noch Spenden von Privatleuten annehmen. Seit diesem Jahr ist auch ein Instagram-Account geschaltet, alle Mitstreiter und Mitstreiterinnen zeigen ihr Gesicht im Internet - zuvor war es nur Raabe, der keine Angst vor Anfeindungen zeigen wollte.

«Diese Öffentlichkeit hat ganz viel verändert, die Menschen sind fassungslos nach den Vorträgen, viele wollen ein Kreuz in ihrem Garten aufstellen», erzählt die ehemalige Lehrerin Elke Scherwinsky: «Diese Familien leben hier schon sehr lange unter dem Radar.» Seit das Geheimtreffen Rechtsextremer in Potsdam Anfang des Jahres publik wurde, gebe es Anfragen aus anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen.

«Kreuz ohne Haken - für Vielfalt»

«Potsdam hat vieles verändert», sagt auch Mitinitiatorin Isa von Bismarck-Osten. In drei Monaten seither seien mehr als 1200 Kreuze nachgefragt worden. «Kreuz ohne Haken - für Vielfalt» steht als Zeichen an Höfen und Toreinfahrten. Tatkräftige Unterstützung erhielten sie von einer Schule im Wendland, in der seit vergangenem Oktober 900 Exemplare hergestellt worden sind.

Die ersten, die sie unterstützt hätten, seien die Landfrauen gewesen - und das in dem eher konservativ, dörflich geprägten Landstrich. In Kindergärten und Schulen seien ihnen die brav angezogenen Kinder und ihre Eltern aufgefallen. «Es geht ja um die grundsätzliche Frage der Rolle der Frau», sagt Raabe. Nach der klaren Vorstellung der Familien aus dem Rechten Spektrum sei die Frau zum Kinderkriegen, am Herd und eventuell noch in der Kirche da.

«Wir sind für viele auch Nestbeschmutzer», erzählt Rita Karkhof. Die Familien, deren Einstellung sie bekämpfen, seien vernetzt und gingen strategisch vor: «Nichts ist Zufall.» Richtige Angst vor Anfeindungen wollen die Mitglieder der Gruppe - es sind vor allem Frauen - nicht aufkommen lassen. «Wir sind keine Einzelkämpfer, es ist gut, in einer Gruppe zu sein», betont die Lehrerin und Landwirtin. Es gebe inzwischen sehr viele ermutigende Rückmeldungen. «Warum haben wir so viel erreicht? Weil wir eine Initiative aus der Mitte der Gesellschaft sind», meint von Bismarck-Osten.

Völkische Siedler vermitteln Kindern nationalistisches Leitbild

Die völkischen Siedler werden in Niedersachsen vom Verfassungsschutz beobachtet. Die rechtsextremistischen Familien- oder Siedlerverbände pflegten abseits der urbanen Zentren eine naturorientierte und kleinbäuerliche Lebensweise auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie mit rassistischen und antisemitischen Elementen, heißt es aus dem Innenministerium in Hannover. Sie lebten innerhalb ihres kinderreichen Familien- und Freundeskreises nach völkischen Denk- und Verhaltensmustern und neuheidnischen Riten. Die Ideologie richte sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.

Völkische Siedler seien gefestigte Rechtsextremisten, die sich an der vom Nationalsozialismus propagierten «Volksgemeinschaft» orientieren, die als «geschichtlich gewachsene Blutsgemeinschaft» idealisiert werde, so das Ministerium. Dies umfasse die Ausgrenzung anderer Ethnien. Ziel sei der Erhalt der als besonders widerstandsfähig verstandenen «germanisch-nordischen Rasse». Die Grundlagen würden bereits in den frühen Lebensjahren gelernt, die Familien hätten prägenden Einfluss auf die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder.

Diesen werde während der Fahrten, Lager und Wanderungen ein völkisch-nationalistisches Leitbild für das Erwachsenenalter vermittelt, das insbesondere der Festigung der Gemeinschaft dienen soll. Um weitgehend ungestört leben zu können, bevorzugen sie dünn besiedelte Landstriche. Schwerpunktregion ist in Niedersachsen der Nordosten. In der Öffentlichkeit äußern sich die Gruppen nicht.

(dpa)

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