05. Februar 2020 – Sarah Buletta

Clan-Hochburg Niedersachsen

Clan-Kriminalität in Niedersachsen

Clans in Deutschland - immer wieder ist darüber zu lesen oder das Thema wird in TV-Berichten behandelt. Niedersachsen gilt sogar mittlerweile als eine der Clan-Hochburgen. Sarah Buletta, Reporterin bei Antenne Niedersachsen, wollte mehr über kriminelle Familien-Clans wissen. Wie ist so ein Clan organisiert? Und was ist überhaupt ein Clan? Sind alle kriminell? Ein Erfahrungsbericht.

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Foto: Nomad_Soul - stock.adobe.com

Ich bin Sarah Buletta, Reporterin bei Antenne Niedersachsen. Immer wieder lese ich über Clan-Kriminalität, nicht nur in Berlin oder Nordrhein-Westfalen. Auch bei uns in Niedersachsen. Niedersachsen gilt sogar mittlerweile als eine der Hochburgen. Das hat sich für mich bislang nicht so angefühlt. Deshalb will ich mehr wissen über kriminelle Familien-Clans. Wie ist so ein Clan organisiert? Und was ist überhaupt ein Clan? Sind alle kriminell?

Die Polizei definiert den Begriff Clan für sich als "kriminelle Großfamilie, die sich von der Gesellschaft abschottet und die Regeln des Staates und der Gesellschaft nicht akzeptiert".

Ich spreche mit Hammed Khamis. Ein Deutsch-Araber, geboren in Osnabrück, Anfang 40, Mitglied einer libanesischen Großfamilie, Ex-Einbrecher. Heute ist er ein erfolgreicher, Grimme-Preis-nominierter Buchautor. Er lebt mittlerweile in Berlin, hat seine kriminelle Vergangenheit hinter sich gelassen und ist ein sehr sympathischer Mensch. Ich habe trotzdem Angst, was passieren könnte, wenn ich seine Worte nicht in seinem Sinn wiedergebe. Denn er hat die Straße nie verlassen, wie er sagt. Er hat sie nur zu seinem Beruf gemacht. Und er ist sauer darüber, dass alle Mitglieder arabischer Großfamilien automatisch verdächtigt werden, Dreck am Stecken zu haben, nur weil sie denselben Nachnamen tragen. Denn natürlich sind nicht alle kriminell. Er selbst hat 13 Geschwister und 73 Nichten und Neffen. Die haben ganz normale Jobs, als Zahntechniker und Büroangestellte zum Beispiel, sagt Hammed. Ein Generalverdacht sei rassistisch:

Hammed Khamis: Nur zwei Prozent sind kriminell
04.02.2020
Hammed Khamis: Nur zwei Prozent sind kriminell
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Hammed hat sich damals einfach für die falsche Seite entschieden, sagt er. Als er mir von seinen ersten Einbrüchen, Schlägereien mit der Polizei und seiner Zeit im Gefängnis erzählt, hab ich einen Kloß im Hals. Hammed erzählt mir, dass sein Vater ihn damals in den Knast schickte. Das Familienoberhaupt hatte ihn ausgewählt, den Kopf hinzuhalten:

Hammed Khamis: Für die Familie gehst du in den Knast
04.02.2020
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So etwas sollte niemand erleben müssen; auch wenn Hammed keine weiße Weste hatte, denke ich mir. Mitleid steigt in mir hoch. "Wie kann man jemandem so sehr gehorchen?", frage ich mich. Ich selbst bin in einer ganz modernen Kleinfamilie groß geworden. In arabischen Großfamilien steht der Älteste, meist der Vater, über allen. Er sucht sogar die Ehepartner aus, die nicht selten ein Cousin oder eine Cousine sind. Denn das Blut soll in der Familie bleiben. Endogamie nennt sich das.

Verständnis kann ich dafür kein bisschen aufbringen. Wenn Hammed mir sagt, dass Deutschland Multi-Kulti ist und auch die arabischen Großfamilien einfach nur dazugehören wollen, dann versteh ich das total. Denn sie zu stigmatisieren und auszugrenzen ist einfach nur ungerecht. Aber warum halten die großen Familien dann doch noch an solch altertümlichen Heirats-Traditionen fest? Multi-Kulti wird's doch erst so richtig, wenn die Abstammung auch in der Liebe keine Rolle mehr spielt.

Hammed Khamis: Ich bin bereit, eine von euch zu heiraten
04.02.2020
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"Das war rassistisch", sage ich Hammed. Seine Antwort darauf: "Natürlich war das rassistisch". "Sarah, atmen nicht vergessen", denke ich mir und fühle mich leicht angegriffen. Gibt es doch eine kulturelle Kluft zwischen uns? Wir wünschen uns doch eigentlich das Gleiche: ein friedliches Miteinander in Multi-Kulti-Deutschland.

Angst haben vor den kriminellen Clans muss keiner von uns Normalos, sagt mir Hammed. "Es sei denn, du machst einen Autohandel oder eine Disco auf. Da wirst du dann 'höflich' um Schutzgeld gebeten oder nach deinem Türsteher gefragt. Denn wer die Tür macht bestimmt, wer drinnen Drogen verkauft", erklärt mir Hammed. Dabei mischen aber nicht nur kriminelle Clans, sondern auch Rocker Clubs mit. Die gibt es mindestens genauso lange, wie kriminelle arabische Clans. Und von denen kriegen wir genauso wenig mit.

Clan-Kriminalität gibt es bei uns in Niedersachsen bereits seit den 80er Jahren. "Sorge und Angst sind aber nicht berechtigt", sagt der Osnabrücker Polizeipräsident Michael Maßmann. Clan-Kriminalität sei im Bereich der Polizeidirektion Osnabrück wahrlich nicht an der Tagesordnung.

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