02. Oktober 2020 – Lea Biskup
Grenzorte Grasleben und Weferlingen
30 Jahre Deutsche Einheit - Wie ein Kindertrick für einen Grenzübergang sorgte
Antenne Niedersachsen-Reporter Daniel Flüß ist zu den ehemaligen Grenzorten Grasleben (Niedersachsen) und Weferlingen (Sachsen-Anhalt) gefahren. Zwei Orte, die durch die innerdeutsche Grenze getrennt wurden und das nie akzeptieren konnten. Mit einem Kinderstreich haben sie sich über die DDR-Behörden hinweg gesetzt und 1989 einen eigenen Grenzübergang geschaffen.
"Für mich war jede Grenze so wie die Innerdeutsche. Ich war als Kind mal mit meinen Eltern in Österreich im Urlaub und habe gefragt: 'Wo ist der Zaun? Wo sind die Hunde? Wo sind die Schießanlangen?' Alles Dinge, die wir hier täglich gesehen haben."
Wenn sich Veronika Koch aus Grasleben an die Zeit vor der Einheit erinnert, fällt es schwer, sich vorzustellen, wie die 2000 Meter zwischen den Ortschaften Grasleben (Niedersachsen) und Weferlingen (Sachsen-Anhalt) einst ausgesehen haben. Wo heute eine frisch geteerte Straße, ein Radweg und am Rande der Felder eine kleine Sitzgruppe im Schatten der Bäume ist, lag bis 1990 die Grenze, die die innerdeutsche Welt in zwei Teile schnitt. Eine Grenze, die diese beiden Orte eigentlich nie akzeptieren konnten: den Eisernen Vorhang. Veronikas Vater war damals Bürgermeister von Grasleben und einer der Akteure, die sich darum bemüht haben, dass der Kontakt zum Nachbarort – trotz Eisernem Vorhang – bestehen blieb.
Über verschiedene Vereine wurden immer wieder Kooperationen geknüpft und Anwohner beider Ortschaften berichten mir mit leuchtenden Augen von einer besonderen Aktion im Winter 1988. Damals installierten die Grasleber auf der Aussichtsplattform an der Grenze einen Weihnachtsbaum, an dem jeden Abend um 18 Uhr die Lichter ansprangen.
05.10.2020
Timeline - 30 Jahre Deutsche Einheit in Grasleben und Weferlingen
Als am 9. November 1989 die Berliner Mauer fiel, sahen beide Orte ihre Chance gekommen. "Ich bin damals über Marienborn nach Weferlingen gefahren und wir haben uns beraten, was wir machen", erzählt mir der damalige Samtgemeindedirektor Gerd Stötzel. Was dabei herauskam, war ein Plan für einen Grenzübergang. Alles was dazu nötig war: Eine Lüge! "Wir haben einfach verschiedenen Stellen der DDR erzählt, dass wir von der jeweils anderen Behörde die Erlaubnis für einen Grenzübergang haben. Der sollte am 18. November 1989 um 6 Uhr früh realisiert werden. Im Grunde ein alter Kindertrick mit dem wir früher immer unsere Eltern gegeneinander ausgespielt haben", erklärt mir Stötzel. Tag und Uhrzeit waren frei erfunden. "Aber", fährt Stötzel fort, "wir haben gemerkt, dass bei den DDR-Behörden kurz nach dem Mauerfall so ein Chaos herrschte, dass die eigentlich nicht mehr handlungsfähig waren." Die Folge: Neun Tage nach dem Mauerfall gab es einen Grenzübergang, für den es nie eine offizielle Genehmigung gegeben hat.
"Von den Moment an haben wir uns bereits verhalten, als wären wir ein Land", so Gerd Stötzel.
Bereits am ersten Tag schoben sich die Menschenmassen über den neuen Grenzübergang. "Ich habe noch rund eine Woche gewartet, bis ich mal drüben im Westen war. Ich bin halt keiner, der sofort losprescht", erinnert sich Werner aus Weferlingen. Heute, über 30 Jahre später, ist der ehemalige Sport- und Biolehrer erstaunt, was damals passiert ist. "Eigentlich unglaublich, dass das Ganze so schnell und vor allem so friedlich ablief."
Endgültige Fakten wurden erst am 3. Oktober 1990 mit der Unterzeichnung des Zwei-Plus-Vier-Vertrages geschaffen. "Der 3. Oktober 1990 hat das geschafft, was wir uns alle gewünscht haben: Das einheitliche Deutschland zu bestätigen", bilanziert Veronika aus Grasleben.
Von diesem Tage an gehörten die Kontrolltürme, der Stacheldraht und die Volkspolizisten, die 40 Jahre lang das Bild zwischen Grasleben und Weferlingen prägten, endgültig der Vergangenheit an. Eine Vergangenheit, die heute noch durch ein weiß-braunes Hinweisschild an der Landstraße zwischen Grasleben und Weferlingen dokumentiert wird.