12. November 2025 – dpa

Korruption in der Ukraine

Korruptionsskandal in Ukraine: Minister müssen Posten räumen

Die Schmiergeldaffäre in der Ukraine zieht immer weitere Kreise. Im Fokus steht ein langjähriger Gefährte von Präsident Selenskyj. Der Skandal reicht bis in die Ministerriege.

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Der ukrainische Justizminister ist nach Angaben von Regierungschefin Julia Swyrydenko von seinen Aufgaben entbunden worden. (Archivbild), Foto: -/kyodo/dpa

Die Folgen des Korruptionsskandals im ukrainischen Energiesektor weiten sich mit Ministerrücktritten aus. Nach einer Aufforderung durch Präsident Wolodymyr Selenskyj veröffentlichte Energieministerin Switlana Hryntschuk ihr handgeschriebenes Rücktrittsgesuch bei Facebook. Ministerpräsidentin Julia Swyrydenko zufolge ersuchte zudem Justizminister Herman Haluschtschenko seinen Rücktritt.

Selenskyj hatte zuvor beide dazu aufgefordert und in einer Videobotschaft die Parlamentsabgeordneten gebeten, «diese Gesuche zu unterstützen».

Der ehemalige Energieminister Haluschtschenko ist einer von mehreren Verdächtigen in einem bisher unter Führung von Präsident Wolodymyr Selenskyj beispiellosen Korruptionsskandal in der Ukraine. Er wird auch im Westen aufmerksam verfolgt, der die Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg mit Milliardenhilfen unterstützt.

In seiner Videobotschaft sicherte Selenskyj den Antikorruptionsorganen Unterstützung zu und kündigte an: «Es wird eine Säuberung und einen Neustart bei der Leitung von Energoatom geben.»

Am Vortag hatte es bei Haluschtschenko Durchsuchungen gegeben. Er war seit Juli Justizminister. Von den Ermittlungen sind mehrere ehemalige und amtierende Regierungsmitglieder betroffen, darunter auch der Ex-Vizeregierungschef Olexij Tschernyschow, der als enger Vertrauter Selenskyjs gilt.

Das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Antikorruptionsstaatsanwaltschaft (SAP) der Ukraine hatten zuvor Ermittlungen bei dem für den Betrieb der Kernkraftwerke zuständigen Staatskonzern Energoatom bekanntgemacht. Es geht um Bestechungsgeld, das beim Bau von Schutzvorrichtungen um Energieanlagen gegen russische Luftangriffe geflossen sein soll. Am Dienstag sprach das Antikorruptionsbüro von fünf Festnahmen und sieben Verdachtsfällen. Die Gruppe soll etwa 100 Millionen US-Dollar (86,4 Millionen Euro) an Schmiergeld gewaschen haben. Die Ermittler veröffentlichten auch ein Foto mit einem Berg an noch eingeschweißten Dollarscheinen.

Im Zentrum der Ermittlungen gegen die «hochkarätige kriminelle Organisation» steht Selenskyjs langjähriger Wegbegleiter Tymur Minditsch. Der 46-Jährige habe nicht nur Einfluss auf Haluschtschenko ausgeübt, sondern auch auf Ex-Verteidigungsminister Rustem Umjerow, wie Staatsanwalt Serhij Sawyzkyj Medienberichten zufolge sagte. Umjerow, der heute Sekretär des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine ist, räumte in einer Stellungnahme zwar Kontakte zu Minditsch ein, wies aber Korruptionsvorwürfe strikt zurück.

Laut ukrainischen Medien könnte Minditsch auch in dem für die Ukraine wichtigen Bereich der Rüstungsindustrie illegale Geschäfte gemacht und sich bereichert haben. Er soll sich nach einem Tipp zu einer bevorstehenden Hausdurchsuchung ins Ausland abgesetzt haben. Dem ukrainischen Grenzschutz zufolge verließ er die Ukraine jedoch legal.

Zusätzlich gab Regierungschefin Julia Swyrydenko bekannt, dass die von Selenskyj angekündigten Sanktionen gegen Minditsch und den ebenso verdächtigten Olexander Zukerman verhängt werden sollen. Beide sollen sich Medienberichten nach in Israel aufhalten.

Minditsch ist ein Vertrauter und Geschäftspartner von Präsident Selenskyj aus dessen Zeiten als Schauspieler. Der Geschäftsmann gehörte vor Selenskyjs Wahl zum Präsidenten 2019 zu dessen wichtigsten Begleitern - er ist unter anderem Miteigentümer des von Selenskyj gegründeten Studios «Kwartal-95».

Der Hauptverdächtige habe Einfluss auf staatliche Entscheidungen «im Energie- und im Rüstungsbereich» genommen, teilten die Ermittler nach 15-monatiger Arbeit an ihrer Operation «Midas» mit. Sie haben demnach auch 1.000 Stunden abgehörte Gespräche der nun Beschuldigten aufgezeichnet. Die Beschuldigten sollen sich Decknamen zugelegt haben - Minditsch wurde demnach «Karlsson» genannt. Im Raum steht auch der Vorwurf, dass Minditsch mit seiner Nähe zu Selenskyj Einfluss auf Personalentscheidungen in der Regierung genommen haben könnte.

Energoatom sprach von einem «Vorfall», der keinen Einfluss auf die finanzielle Stabilität des Unternehmens, die Stromproduktion und die Sicherheit der ukrainischen Kernkraftwerke habe. Der Staatskonzern gilt als besonders bedeutend, weil in dem Land der Hauptteil der Energieerzeugung von Atomkraftwerken kommt.

Die Energiewirtschaft steht besonders jetzt in der kalten Jahreszeit im Fokus, weil viele Anlagen durch die russischen Drohnen- und Raketenangriffe beschädigt oder zerstört sind. Für die ukrainische Führung kommt der Skandal zur Unzeit, weil viele Menschen in Kälte und Dunkelheit sitzen, während sich Beamte bei illegalen Geschäften bereichert haben sollen.

Minditsch und ein mit ihm befreundeter Geschäftspartner sollen zwischen 10 und 15 Prozent kassiert haben bei Aufträgen von Energoatom und das Geld dann über ein Netz von Firmen gewaschen haben. Geld soll laut NABU ins Ausland abgeflossen sein, darunter auch nach Russland.

Es scheint um den größten Bestechungsskandal der Ukraine zu Zeiten des seit mehr als dreieinhalb Jahren dauernden Krieges gegen den Angreifer aus Russland zu gehen. Das in die EU strebende Land gilt trotz Reformen immer noch als einer der Staaten in Europa mit der höchsten Korruptionsanfälligkeit.

Der Fall gilt für die NABU-Ermittler als der wichtigste und größte bisher. Tausende Menschen hatten im Sommer für die Unabhängigkeit der Behörde demonstriert, nachdem Selenskyj das NABU und die SAP in einem Eilverfahren politischer Kontrolle unterstellen wollte. Schon da gab es Befürchtungen bei vielen in der Ukraine, dass Selenskyj womöglich eigene Interessen verfolgen könnte, um sein Umfeld zu schützen. Auf Druck der EU korrigierte er seine Entscheidung und gab den Behörden die Unabhängigkeit zurück.

Moskau nutzte den Skandal für einen Seitenhieb gegen die westlichen Unterstützer der Ukraine. Man gehe davon aus, dass der Korruptionsskandal auch in den europäischen Hauptstädten und in den USA beachtet werde, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Agenturen zufolge. Das seien schließlich aktive Geldgeber Kiews. «Natürlich beginnen diese Länder tatsächlich besser und besser zu verstehen, dass ein bedeutender Teil des Geldes, das sie ihren Steuerzahlern abnehmen, vom Kiewer Regime geplündert wird», behauptete er.

Nach Angaben der Bundesregierung sind allerdings trotz umfangreicher Unterstützung für die Ukraine keine deutschen Gelder vom dortigen Korruptionsskandal betroffen. «Uns liegen keine Erkenntnisse vor, dass von den Vorfällen Unterstützungsmittel Deutschlands betroffen sind», sagte ein Sprecher des Entwicklungsministeriums in Berlin. Auch Fälle von Korruptionsversuchen bei deutschen Unternehmen seien nicht bekannt.

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